Frühkastration

Die Kastration von Katzen- und auch Hundewelpen wird seit einiger Zeit besonders in amerikanischen Tierheimen und von dort ausgehend teilweise auch in Deutschland propagiert.

Als Frühkastration kann jede Kastration bezeichnet werden, die vor Erreichen der Geschlechtsreife erfolgt. In der Regel ist aber mit Frühkastration der Eingriff am sehr jungen Tier gemeint, meist im Alter zwischen vier und zwölf Wochen. Das Verfahren wird von Katzenschützern und Tierärzten sehr kontrovers diskutiert.

Thema der Diskussionen ist vor allem die technische Seite. Gegner der Frühkastration führen Schwierigkeiten der Operation, schlechteren Abbau des Narkosemittels und Gefahren von Auskühlung und Blutverlust für Jungtiere an. Befürworter betonen die „Übersichtlichkeit“ des Operationsfeldes, geringere Durchblutung der Organe und schnellere Wundheilung beim Jungtier.

Eine medizinische Folge der durch die Frühkastration ausgelösten Veränderung des Hormonhaushalts ist, dass die Tiere etwas größer werden. Besonders die Röhrenknochen hören später auf zu wachsen, so dass die Tiere längere Beine bekommen. Kater bilden nicht den typischen dicken „Katerkopf“ aus, das trifft allerdings auch auf Tiere zu, die im üblichen Alter von 6-10 Monaten kastriert werden. Diskutiert wird mögliche Fettsucht bei beiden Geschlechtern. Nach Literaturangaben kommt es bei frühkastrierten Katern häufiger zum Auftreten des urologischen Syndroms durch Ansammlung von Harngrieß oder Harnsteinen. Beschrieben wird außerdem das Problem, dass sich gelegentlich bei frühkastrierten Katern die Vorhaut nicht richtig vom Penis löst, sowie fehlende bzw. reduzierte Penisstacheln. Als Vorteile stehen dem gegenüber selteneres Auftreten von Gebärmutterentzündungen sowie selteneres Vorkommen von Tumoren bei der weiblichen Katze.

Das Verhalten der Tiere wird selten berücksichtigt. Jedoch werden gelegentlich dauerndes kindliches Verhalten frühkastrierter Tiere, freundlicheres Wesen und häuslicheres Verhalten erwähnt.

Das Verfahren der Frühkastration wurde von Tierschützern entwickelt, um die Abgabe unkastrierter Tiere an die neuen Besitzer zu verhindern. Erfahrungen hatten zuvor gezeigt, dass Kastrationsverträge und -gutscheine nicht ausreichten, alle neuen Besitzer zur rechtzeitigen Kastration der Tiere zu veranlassen. Die Folge der unterlassenen Kastration war dann häufig, dass die abgegebenen weiblichen Katzen zusammen mit ihrem ersten Wurf ins Tierheim zurückkamen. Inzwischen wird das Verfahren auch für verwilderte Katzen diskutiert und als Lösung vieler Probleme propagiert. Argumentiert wird, dass eingefangene Jungtiere nicht unkastriert wieder freigelassen werden dürften, da sie unter Umständen niemals wieder eingefangen werden können.

Hier ist jedoch aus Sicht der Verhaltensbiologie Vorsicht geboten. Dauerhaft kindliches Verhalten der Tiere und „größere Freundlichkeit“, wie von frühkastrierten Katzen beschrieben, mögen den Besitzern von Wohnungskatzen sehr gefallen. Bei Wohnungskatzen ist aber die Frühkastration meist unnötig, weil sie leicht eingefangen und im üblichen Alter zur Kastration gebracht werden können. Allenfalls bei der gemeinsamen Haltung beider Geschlechter oder zur Sicherheit der Tierheime kann die Frühkastration von Wohnungskatzen eine Rolle spielen.

Das beschriebene Verhalten deutet aber auf Probleme hin, die sich in der normalen Sozialstruktur von Katzen ergeben können. Tiere mit dauerhaft kindlichem Verhalten dürften Schwierigkeiten haben, sich gegenüber anderen Katzen durchzusetzen und sich normal in die Sozialstruktur einer Katzenpopulation einzufügen. Diese Sozialstruktur besteht nicht nur in erkennbaren Katzengruppen, sondern auch dort, wo Katzen stets allein beobachtet werden. Der soziale Kontakt erfolgt über Geruchsmarkierungen, akustische Kommunikation und gelegentliche Treffen. Jede Katze, die als Freigänger oder verwildertes Tier auftritt, fügt sich in diese Sozialstruktur ein. Ein frühkastriertes Tier, das sich im erwachsenen Alter wie ein Welpe benimmt oder (für Katzen) wie ein Jungtier riecht, könnte außerhalb der normalen Sozialkontakte stehen oder sogar zum „Prügelknaben“ der anderen Tiere werden. Zu diesen Punkten gibt es meines Wissens bisher keine Untersuchungen.

Meines Erachtens ist die Frühkastration von verwilderten Katern und solchen mit Freigang abzulehnen. Spätkastrierte und unkastrierte ältere Kater sind gegenüber jungen Männchen oft sehr aggressiv, es ist keinem Tier zuzumuten, diesen normalerweise vorübergehenden Angriffen lebenslang ausgesetzt zu sein. Dazu kommen die vorwiegend bei Katern auftretenden negativen medizinischen Folgen der Frühkastration. Können verwilderte junge Kater später nicht mehr eingefangen werden, so ist das nicht sehr problematisch, weil sie selbst ja keinen Nachwuchs bekommen und unkastrierte Kater, die verfügbare rollige Weibchen decken, in der Regel sowieso vorhanden sind.

Anders sieht es mit der Frühkastration bei weiblichen Katzen aus. Hier werden veterinärmedizinisch vor allem positive Langzeitfolgen beschrieben, denen nur wenige kurzzeitige Nachteile (wie kompliziertere Narkose und Operation) gegenüberstehen. Aus Sicht von Tierheimen kann es durchaus angebracht sein, auch junge weibliche Tiere nur kastriert abzugeben, um eine spätere Abgabe samt ungeplantem Nachwuchs oder ungenehmigte Zucht zu verhindern. Bei verwilderten weiblichen Jungtieren, die für eine Vermittlung zu scheu sind und in ihr Gebiet zurückgebracht werden sollen, ist die vorpubertäre Kastration ebenfalls dem unkastrierten Zurückbringen und späterem Fangversuch oder dem monatelangen Verbleib im Tierheim vorzuziehen.

Da aber bisher kaum Erfahrungen mit der Frühkastration verwilderter Katzen vorliegen, sollten frühkastrierte Katzen besonders gekennzeichnet und möglichst über mehrere Jahre sorgfältig beobachtet werden, um Störungen vor allem des Sozialverhaltens auszuschließen. Entsprechende Erfahrungsberichte sollten gesammelt und veröffentlicht werden.